Sie war die Fotografin der Schönen und der Reichen. Doch dann erlebte ihr Werk einen gravierenden Einschnitt. Von den Nationalsozialisten der Möglichkeit beraubt ihrer Arbeit nachzugehen, sowie dem damit einhergehenden Verlust ihres Studios in Paris, verbrachte die einstige Porträtistin der österreichischen und französischen Hautevolee die Kriegsjahre abgeschieden in einem französischen Bergdorf. Obwohl Madame D’ora nach dem Zweiten Weltkrieg ihre alte Arbeit als Porträtfotografin wieder aufnahm, hinterließen die Jahre der Entbehrung in (äußerer wie innerer) Emigration, in ihrem fotografischen Spätwerk für die Nachwelt sichtbar erhebliche Spuren.
Die 60 Jahre überschritten kehrte die gebürtige Jüdin aus großbürgerlichem Hause nach Kriegsende in ihr Geburtsland zurück, um jene Menschen zu fotografieren, denen der Krieg, wie einst ihr selbst, Heimat und Existenzgrundlage geraubt hatte. Als „Displaced Persons“ – kurz DPs – fanden sich nach Kriegsende über eineinhalb Millionen Menschen existenzlos auf österreichischem Boden wieder. Sie waren aus ihrer Heimat verschleppt oder vertrieben worden. Zu ihnen zählten jüdische Überlebende der Konzentrationslager ebenso wie ehemalige Kriegsgefangene und deutschsprachige Minderheiten, die nach der Niederlage der Nazis die von ihnen besiedelten Gebiete räumen mussten.
In die diversen Lager aufgeteilt fristeten sie unter schlechten hygienischen Bedingungen ein Leben in Armut und oftmals Perspektivlosigkeit. Hinzu kamen Anfeindungen von Seiten der österreichischen Bevölkerung, die in ihnen eine Bedrohung sahen. „Das Problem der Verschleppten“, „Zunahme der Kriminalität im Lande Salzburg“ oder gar „Ausländer hinaus, aus Österreich“ waren Parolen, die man im Zusammenhang mit den DPs in den Zeitungen lesen konnten. Doch nicht nur die Bevölkerung tat sich schwer mit den unerwünschten „Gästen“. Auch ins politische Bemühen Österreichs sich als erstes Opfer zu mystifizieren passten die vielen Fremden auf heimischen Boden nicht und man schob die Verantwortung nur allzu gerne von sich.
„Eine ausführliche Berichterstattung über die Flüchtlingsthematik und vor allem die Gruppe der jüdischen DPs wäre der bildlichen Manifestation von Österreich als erstem Opfer Adolf Hitlers im Weg gestanden, der Abdruck von Flüchtlingen somit einem visuellen Schuldeingeständnis gleichgekommen“, schreiben Marion Krammer und Margarethe Szeless im Katalog zur Ausstellung im „Photoinstitut Bonartes“, das noch bis 7. November jene Bilder zeigt, die d’Ora in den Jahren 1946 und 1948 in den diversen Lagern aufnahm.
Die DP-Serie von d’Ora
In wessen Auftrag die Aufnahmen entstanden, entzieht sich den Foto-Historikerinnen und -Historikern heute jedoch der Erkenntnis. Fest steht, dass sie so gar nicht in die Bildsprache der veröffentlichten Fotografien passten. Wurden die DPs von einer Seite totgeschwiegen, bediente man sich ihrer von anderer Seite als Propagandamaterial. Die zahlreichen Fotos, die im Auftrag der von den Alliierten bereits 1943 ins Leben gerufenen UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) und später der IRO (International Refugee Organisation) entstanden, zeigen motiviert arbeitende Menschen, die dank der Ihnen erfolgreich zukommenden Hilfe hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
Bei d’Ora bestimmen hingegen Resignation, Apathie und Trostlosigkeit die Bildsprache. Wie sehr die Fotos inszeniert sind, weist Magdalena Vuković in ihrem Katalogbeitrag hin. Aus den Kontaktbögen der Aufnahme einer Mutter mit ihren zwei Kindern werde deutlich „wie die Fotografin die Gegenlichtsituation mit einem einzelnen Scheinwerfer mühsam austarierte, um der Dargestellten eine Aura der Entrücktheit zu verleihen“.
Diese Art der Fotografie stehe nicht zuletzt auch im Gegensatz zu den Privataufnahmen, die in die heutige Zeit überliefert wurden, und die jene Menschen bei diversen identitätsstiftenden Zusammenkünften wie religiöse Feste oder sportlichen Veranstaltungen zeigten.
Zudem handelt es sich bei den Bildern, die dem „Photoinstitut Bonartes“ als Leihgaben des „Museum für Kunst und Gewerbe“ in Hamburg – in dessen Besitz sich der Großteil des Spätwerks von d’Ora befindet – zur Verfügung gestellt wurden, zum großen Teil um Aufnahmen von älteren Menschen und Kleinkindern, die unter den ohnehin außerhalb der Gesellschaft stehenden Menschen noch einmal eine besondere Stellung einnahmen. Lautete doch eine weitere Befürchtung von Herr und Frau Österreicher, dass nach erfolgreicher Repatriierung der DPs durch die Hilfsorganisationen nur mehr die Kranken und Alten, daher nicht arbeitsfähige Menschen, im Land bleiben würden. D’Ora macht in der Darstellung der Entwurzelten – ob es sich dabei um jüdische oder so genannte Volksdeutsche Personen handelt – keinen Unterschied. Allen Aufnahmen gleich ist ein Ausdruck der Verlorenheit.
Im Nachlass erhalten ist auch das Bild eines schlafenden Babys, das aus Zeit und Raum gefallen zu sein scheint. Noch schläft es friedlich umgeben von dunkler Ungewissheit. Als Betrachterin wünscht man sich inständig, dass dieses Kind irgendwann in einer glücklichen Zukunft aufwachen hat dürfen. Was tatsächlich aus ihm wurde? Man weiß es nicht. Berührend und in Zeiten, wo Empathie für viele Menschen erneut zum Fremdwort geworden ist, erschreckend aktuell. Eine wichtige Schau zu einem wichtigen Zeitpunkt, die ebenso bewegend wie informativ ist.
Porträts der Entwurzelung
Noch bis 7. November 2018
Photoinstitut Bonartes
Seilerstätte 22
1010 Wien
Der Besuch ist jederzeit gegen Voranmeldung möglich
T +43-1-2360293
[email protected]
www.bonartes.org
© Titelbild: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
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